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“Roberto Zucco” am Münchner Volkstheater: Verrätselte Bricolage über einen Täter ohne Motiv

Das letzte Stück des früh verstorbenen französischen Dramatikers Bernard-Marie Koltès ist häufiger auf deutschen Bühnen zu sehen. Kein Wunder in einer Zeit, in der das Thema Gewalt eine Dominante ist, von rechtsradikal motivierten Serienmorden, die gerade in eben selber Stadt in einem medialen Grossereignis vor Gericht verhandelt werden, über gelegentlich tödlich endende Schlägereien auf Münchner Bahnhöfen, Berliner Stadtplätzen und anderswo, bis hin zu einem der Lieblingsthemen, deretwegen wir ins Kino gehen oder den Fernseher einschalten.

Bericht aus München: Frank B. Halfar

Die Titelfigur von Koltès ist von einem realen Fall angeregt, Roberto Zucco, ein junger Italiener, der ohne erkennbaren Grund mordete, vergewaltigte und aus der Haft in kürzester Zeit wieder ausbrach. All das tut auch die Bühnenfigur, wobei die Abwesenheit von Beweggründen mehr und mehr ein Problem wird, für das Regisseur Miloš Lolić keine überzeugende Lösung findet.

Sicher gibt es so etwas wie die Erotik der Gewalt, eine ungern eingestandene Faszination mit solcher Machtausübung, wie die allermeisten von uns sie nur in Gedanken begehen. Auch der deutsche Terrorist und mehrfache Mörder Andreas Baader ist schon als eine Art Rockstar gezeigt worden. Koltès mag das so empfunden haben, neben seiner Verzweiflung, seiner Ausweglosigkeit, seiner ihm wohl nie unproblematischen schwulen Sexualität. Lolić und seine Darsteller schaffen dafür ein Bild gleich zur Eingangssituation, welche die Zuschauer der nicht ganz ausverkauften Premiere empfängt, nachdem sich die Türen der Vorräume geöffnet hatten. Sein sehr junges Ensemble ist in Alltagskleidung auf ein Gerüst drapiert, jeder in einer anderen Pose das sich versammelnde Publikum musternd. Der einzige ältere Darsteller, Helmut Stange, steht hinter dem Gerüst, im Halbschatten erst auf den zweiten Blick bemerkbar. Sein “Herr”, näher ist die Rolle ebensowenig bezeichnet wie die des gesamten Bühnenpersonals, nur der Titelfigur wird ein Name zugestanden, gerät später zu einem schauspielerischen Höhepunkt des Abends.

Ursula Maria Burkhart - Copyright by Arno Declair
Ursula Maria Burkhart – Copyright by Arno Declair

Umkreist wird dieses Arrangement von Roberto Zucco, dem Übeltäter, dem Killer, dem “Helden” des Dramas. Und der ist nackt. Eine Bandage des linken Handgelenks das einzige Textil an seinem Körper. Leon Pfannenmüller, dem die Hauptrolle anvertraut wurde, legt Dreistigkeit, Anmassung in seinen Blick. Wer mit Vorwissen in die Aufführung kam, mag meinen, der Täter sucht sich sein nächstes Opfer im Publikum aus. Vielleicht aber ist es auch der kritisch abschätzige Blick eines argwöhnischen, nur viel zu jung geratenen Personalchefs in des Kaisers neuen Kleidern, der wenig Vertrauen in diejenigen hat, die ihm da zum Assessment Center vorgesetzt werden. Ein Headhunter ganz eigener Art.

Freilich kann Nacktheit auch als Verletzlichkeit gelesen werden, schutzlos, entblösst sehen wir den Mörder, bevor das Drama eigentlich beginnt. Dies allzumal, weil der Darsteller so jungenhaft wirkt, einen lakonischen Charme entfalten kann bis hin zu Augenblicken des Milchbubis, dem einfach nur geholfen werden muss. Leider, leider kann man über die nächsten eindreiviertel Stunden nicht mehr annähernd so viel erzählen. Nicht, das es einen Mangel an Aktion auf der Bühne gäbe. Auch gelingen ein paar Momente, ein Dialog zweier Gefängnis Aufseher -Justin Mühlenhart und Pascal Riedel- mit Anklängen von Beckett Qualitäten gleich zu Beginn, ein paar Bezeugungen von Humor inmitten der Schrecknis, ein anrührendes Bild einer Frau, die den mittlerweile blutüberströmten Zucco schützend umarmt. Die Frau wird von Xenia Tiling gespielt, und hat eine verblüffende Ähnlichkeit mit Natascha Kampusch, dem österreichischen Entführungsopfer. Zufall sehr wahrscheinlich. Wenn doch nicht, dann mag hier eine Anspielung auf die Verbrüderung zwischen Opfer und Täter vorliegen, auf das so genannte Stockholm Syndrom.

Doch es fehlt ein roter Faden. Es fehlt der wirklich bleibende Eindruck. Letztlich fehlt auch schlicht die Interpretation des Geschehens, der “Ansatz”, der von einer Neuinszenierung erwartet wird. Die Motivlosigkeit der reichlichen Gewalt wird konsequent beibehalten, eine Gefahr. Beiläufigkeit kann schnell zur Beliebigkeit werden, dazu strahlt Pfannenmüller so gar keine Bedrohlichkeit aus, ist eher der Typ netter Junge mit Schwiegersohn Qualitäten.

Und dann ist da das Bühnenbild. Das leere Gerüst wird im Läufe des Stücks zum Gestell, zur Staffelei einer Art Puzzle, aus verschieden grossen Dreiecken, sperrigen Holzteilen, welche die Schauspieler herein tragen und reichlich mühsam an den Gerüstrohren befestigen. Vielleicht gelingt die Handhabung im Laufe der Spielzeit noch etwas gelenkiger. Miloš Lolić ist sein eigener Bühnenbildner, er hat den Ruf, mit einfachsten Mitteln zu arbeiten, da schwelgerische Opulenz ihm im vielfach gebeutelten Serbien fehl am Platze schien. Sicher ein sympathischer Zug, und in der Vergangenheit haben ihm seine kargen Bühnen auch gut gedient, hat er doch Auszeichnungen gewonnen und eine Festivaleinladung erreicht. Sein Bildergerüst für den Zucco jedoch funktioniert schlicht nicht. Zweifellos sagt jedes der vielen verschiedenen, stets nur im bruchstückhaften Detail vorhandenen Motive darauf etwas aus. Dies jedoch erschliesst sich dem Zuschauer kaum, und ist als Idee lange vor Ende des Abends abgenutzt. Man bedauert die Akteure, die in einem Fort die unhandlichen Teile heranschleppen und dann auch noch an den Röhren des Gerüsts zum Einrasten bringen müssen. Dass dies am Ende auch noch alles wieder retour geht und vom Ensemble wieder abgebaut warden muss, ist entschieden zu viel.

Copyright by Arno Declair
Copyright by Arno Declair

Hier wird der Bühnenbildner und Regisseur zum “Bricoleur”, um mit höflicher Referenz an den französischen Autor diesen etwas eleganter klingenden Begriff zu verwenden und ihn nicht zum Bastler und Heimwerker zu degradieren. Die Bricolage schadet seinem Projekt aber weit mehr als das sie ihm nutzt. Inszenatorische Idee war es wohl, keine Interpretation vorzugeben, vielmehr Deutungsvielfalt zu bieten, alles im Rätselhaften zu belassen. Die Magie des Verschlüsselten mag sich aber nicht einstellen.  Eher der unschöne Verdacht, etwas Besseres sei leider niemandem der Beteiligten eingefallen. Daran ändert auch nichts die anstrengendste Phase der Inszenierung, in der zu endlosem infernalischem Lärm einige der Schauspieler uns Exzesse einer Techno Tanznacht vorführen, während sich für Zucco das Blatt wendet und er brutal und blutig zusammengeschlagen wird.

Einem jedem Theaterschaffenden furchtbaren Moment gibt es auch, als man meint, das Stück sei bereits vorbei, Schlussapplaus schon einsetzt, bevor dann die oben beschriebenen Abbauarbeiten seitens des Ensembles dran sind und noch eine andere Situation hergestellt wird, das tatsächliche Ende, das sich schon ein wenig der Gefahr des unfreiwillig Lächerlichen aussetzt.

Der dann wirkliche Beifall zum Ende trifft den Punkt: freundlich und nicht übertrieben  lang für die Darsteller, mit einigen verhaltenen Buh Rufen für den Regisseur.

Ganz sicher ist Miloš Lolić ein Talent, auch ein Freund seiner Darsteller, denen er fraglos nicht Strafarbeiten aufgeben wollte. Ein junger Theatermann muss sich auch vergreifen dürfen. Bleibt zu hoffen, dass er daraus etwas mitnimmt. Es sei ihm sehr gewünscht.

Frank B. Halfar

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Frank B. Halfar

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